Ondulierstäbe werden ondulieren.

Gleich vorweg muss ich etwas Positives zu unserem Innenminister de Maiziere sagen: Ich habe den Eindruck, er bemüht sich wenigstens das Internet technisch zu verstehen, und auf die Befürchtungen aller Beteiligten einzugehen. Das ist in einer konservativ geprägten Regierung während einer Moralpanik sicher garnicht so leicht.

Jetzt fordert er jedenfalls unter Anderem einen digitalen Radiergummi. Diese Forderung ist nicht neu. Und sie klingt sinnvoll. Mit einem solchen Konzept des Löschens von Daten die unangenehm sind hätte sicher niemand ein Problem, denn es kommt immer wieder vor, dass irgendwelche Kinder unbedarft Fotos von sich im Netz veröffentlichen, oder Google Street View verfängliche Bilder aufnimmt. Dann einfach den mächtigen Radiergummi zücken und alles wieder gut machen wäre freilich nett.

Nett aber unmöglich. Es ist ja bereits jetzt so, dass die kommerziellen Videoportale Videos herunternehmen, spätestens auf Anfrage, teils aber bereits wenn die Community meldet dass das Video nicht angemessen ist. Da braucht es kein Gesetz das sie dazu verpflichtet, das ist einfach common sense. Und wenn nicht, kann man das für gewöhnlich richterlich erzwingen. Nur, dann ist es meistens bereits zu spät.

Unter Anderem gibt es zum Beispiel den Streisand-Effekt. Der laszive YouTube-Strip des pubertären unwissenden Vierzehnjährigen der gerade seine neue Webcam zum Geburtstag bekommen hat wird sicherlich hunderte Male heruntergeladen bevor YouTube ihn sperrt, insbesondere von dessen Bekannten die sich damit über ihn lustig machen. Und die werden das Video verbreiten, ohne dass irgendwer etwas dagegen tun kann.

Verhindern kann man das am Besten dadurch, dass man die Leute aufklärt. Selbst einem pubertären Bildungsunterschichtler dürfte es klarzumachen sein, dass er eine solche Aufnahme nie wieder loswird. Sein Leben lang nicht. Und dass er mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Leuten in die Hände fällt, bei denen er das nicht will.

Analog hört man immer wieder von Saufbildern diverser Menschen, die von Chefs gefunden werden, bei deren Bewerbungsgesprächen. Hier müsste sich vielleicht einfach die Mentalität dahingehend ändern, dass man keine Übermenschen mehr erwartet, sondern einsieht, dass es nichts über die Kompetenz eines Menschen aussagt, dass dieser in seinem Leben einst Fehler gemacht hat.

Freilich können solche Dinge auch aus Versehen passieren. Meine alte Schule hat zum Beispiel einmal in einem Elternbrief Telefonnummern, Mailadressen und Adressen von nachhilfeanbietenden Schülern veröffentlicht. Sie hat diesen Elternbrief auch im Internet veröffentlicht. Normalerweise werden solche Informationen vorher aus den Elternbriefen entfernt, an dieser Stelle hatte man das einfach vergessen.

So fand eine Person von der ich das eigentlich nicht wollte meinen Namen und meine Telefonnummer per Suchmaschine heraus. Ich schrieb natürlich die Schule sofort an, und sie hat das korrigiert, doch im Cache von Google blieb das Ganze noch recht lange erhalten. Und noch heute findet man es, wenn man sucht, in einigen Web-Archiven.

Das ist nicht schön. Noch viel schlimmer wäre es, wenn es wirklich irgendwelches verfängliches Material wäre. Aber einen "Radiergummi" dafür gibt es nicht. Kann es auch nicht geben. Das Einzige was möglich ist ist, dafür zu sorgen dass man es in den Hauptstrom-Suchmaschinen nicht findet (was ein Vorschlag des Innenministers war) - aber es gibt genügend nichthauptstromige Suchmaschinen. Es könnte nichtkommerzielle Suchmaschinen geben. Und es gibt Dinge wie Freenet. Damit wird die breite Masse zwar keinen Zugang mehr dazu finden, aber die Leute, die sich dafür interessieren, und explizit Nachforschungen anstellen - also normalerweise genau die Leute die negative Interessen damit verbinden - finden es trotzdem.

Wann immer ich etwas kritisches ins Netz stelle, versehe ich es entweder mit einem Passwort oder sorge dafür dass es in keinem Dateiindex auftritt. Ich denke, man sollte hier einfach umdenken. Das Internet galt lange als Fortschrittsmotor, und man musste unbedingt alles ins Netz stellen, ad absurdum. Heute, mit etwas mehr Erfahrung, kann man hinterfragen warum zum Beispiel sowas wie ein Elternbrief überhaupt frei zugänglich im Netz veröffentlicht wird, oder ob es nicht besser wäre, eine Zugangsbeschränkung einzustellen. Dass eine Schule Webdienste anbietet ist nichts intrinsisch Schlechtes, und dass man alle wichtigen Briefe dort nochmal abrufen kann ist sicher sinnvoll. Man könnte hier jedem Schüler defaultmäßig ein Passwort geben, und den Eltern entsprechend, und so das Webangebot auf Schüler beschränken. Ich bin der Meinung, Schulen sollten grundsätzlich ohnehin für Schüler frei zugängliche Rechnerpools haben, was ein Accounting voraussetzt - man könnte beides koppeln.

Auch warum Menschen private Videos allen Leuten zugänglich machen ist mir ein Rätsel. Zumal die meisten Videohoster bereits eine Option haben, dass nur ausgewählte Personen die Videos sehen können. Und selbst dann frage ich mich, warum man sie an kommerzielle werbefinanzierte Videohoster übergibt. Hier wäre es vielleicht sinnvoll, den Leuten Homeserver näherzubringen, oder zumindest eigene VServer. Oder eben ein kostenpflichtiges Angebot, das dann aber seinen Service auch auf maximale Zugriffskontrolle zuschneiden kann.

Ein Radiergummi ist jedenfalls weder eine neue Idee, noch eine sinnvolle Idee. Alleine der Begriff sugeriert, dass Daten irgendwo "fest" eingeschrieben sind - eine solche Begriffsbildung löst keine Probleme, im Gegenteil, ich denke, sie gehört mit zum Problem. Das Problem ist eben gerade die "Flüssigkeit" der Daten im Netz. Freilich ist die Information die ich zu einem bestimmten Zeitpunkt herunterlade irgendwo auf einem Server gespeichert. Aber wenn tausende von Menschen sie herunterladen können werden sie auch auf deren Rechnern gespeichert. Und potenziell auf deren Webseiten, oder in irgendwelchen Caches.

Ja, Probleme sind da. Lösungen bisher leider keine. Bildung und ein verantwortungsvoller Umgang wären ein Anfang. Vor Allem tragen sie vermutlich eher zur Lösung bei als alte bereits verworfene Ideen wieder neu aufzukochen.

Nun, de Maiziere hat anscheinend noch einige andere Dinge gesagt. Leider finde ich in der obigen Quelle keine Quellenangabe der gesamten Thesen. Ist auch nicht so wichtig. Ich wollte ohnehin nur auf den Radiergummi eingehen.