Erfahrung heißt gar nichts. Man kann seine Sache auch 35 Jahre schlecht machen.
(Kurt Tucholsky)

Auf der Seite des Bundestages gibt es Texte, die offenbar als Beilage der Zeitschrift "Das Parlament" gedruckt wurden, und sich mit dem Themenkomplex Tierschutz in unserer Gesellschaft befasst. Weder war mir diese Zeitschrift bisher bekannt, noch habe ich alle Texte ganz durchgelesen, es scheint aber generell interessant zu sein. Außerdem finde ich es gut, dass das Thema inzwischen in der Gesellschaft angekommen ist.

Inwieweit allerdings solche Diskussionen auf halbwegs hohem Niveau sinnvoll sind, ist natürlich fraglich, denn letztlich werden die moralischen Entscheidungen die der Gesellschaft am Ende per Gesetz aufgezwungen werden auf Stammtischen entschieden.

Ich las vor Allem einen eher Tierrechtskritischen Artikel, "Das Bein in meiner Küche". In ihm wird die Position vertreten, dass eine Gleichbehandlung von Menschen und Tieren menschenfeindlich sei, und dass der Zusammenhalt von Menschen als solcher nicht durch deren biologische Verwandtschaft, sondern durch deren gesellschaftliche Bindungen gerechtfertigt ist, weshalb auch Haustiere wie Hunde in dieser Gesellschaft eine gewisse Sonderstellung haben, trotz des Fehlens einer biologischen Verwandtschaft, weil sie am gesellschaftlichen Leben teilnehmen.

Ich teile beide Meinungen natürlich nicht, aber mir ist ungefähr klar, wie der Autor zu seiner Gesinnung kommt - daran sind auch inhaltliche Fehler und Denkfehler beteiligt. Der Autor kann sich zum Beispiel nicht vorstellen, dass man aus einem brennenden Haus zuerst ein Tier rettet, und dann erst einen Menschen - ich hingegen hoffe einfach, dass ich niemals in die Situation kommen werde, mich zwischen zwei Leben entscheiden zu müssen. Ich wüsste nicht, ob ich einen Serienmörder eher retten würde, als einen Minensuchhund.

Letztendlich ist eine Begründung der Bevorzugung des Menschen durch gesellschaftliche Bindungen auch wieder ein Problem, denn es gibt auch genügend Menschen, die nicht an der menschlichen Gesellschaft teilnehmen, vor Allem Schwerbehinderte, oder schlichtweg Außenseiter.

Wir haben hier die Schwierigkeit, dass es sich um menschliche Moralvorstellungen handelt, die durch die Umstände nicht unbedingt begünstigt werden. Wir müssen töten um zu leben, ob es nun Tiere oder Pflanzen sind. Die ganze belebte Natur ist eigentlich ein einziges fressen und gefressen werden. Wir haben das Bedürfnis, uns darüber hinwegzusetzen, doch die Natur macht es uns nicht leicht, dafür einen sinnvollen Rahmen zu finden. Man würde gerne irgendwo die Grenze ziehen, und hätte gerne eine intuitive Begründung dafür, das Finden einer solchen Begründung zu einer gezogegen Grenze hält aber selten einer Hinterfragung stand. Wir wollen nicht einfach "Mensch sein" als moralisch sinnvolles Maß akzeptieren, aber außer der für uns nicht befriedigenden Ähnlichkeit der Erbinformationen gibt es nicht viel was alle Menschen gemeinsam haben - nicht den Verstand, nicht das gesellschaftliche Leben, noch nicht einmal das anthropomorphe Aussehen. Es gibt nahezu beliebig starke Ausreißer (die man meistens im Spektrum schwerer Krankheiten findet), denen wir aber ebenfalls Menschenrechte zuweisen wollen. Wir möchten "Leidensfähigkeit" als Maß nehmen, aber was ist Leid?

Wir werden uns in Zukunft voraussichtlich noch größeren Problemen zu stellen haben. Noch vor Jahrzehnten war es unvorstellbar, dass man Erbinformationen zwischen Lebewesen übertragen kann, oder gar künstlich herstellen kann. Wer weiß ob man irgendwann das reine "Retortenbaby" zumindest theoretisch herstellen kann. Oder zumindest den nicht von einem Menschen zu unterscheidenden Androiden. Dann wird selbst unser Begriff von "Leben" relativiert, wie einst unser Begriff von Menschlichkeit.