Ouviram de spam as margens plácidas

Kurzgeschichte - (C) 2015 Christoph-Simon Senjak

An der Rezeption:

Peter: Hallo. Mein Name ist Peter Sukral. Mir wurde gesagt, dass sich mein Bruder in dieser Klinik befände.

Empfangsdame: Ich bräuchte seine volle Bezeichnung.

Peter: Jonathan Valentina Sukral.

Empfangsdame: Er untersteht Doktor Roggenkist. Den gang runter, rechts. Vorsicht, die Gravitation ist etwas falsch justiert an einigen Stellen, es gab heftige Stürme.

Peter: Ja, die Aktivität der Sonne hier ist tückisch. Auf wiedersehen.

Peter läuft den Gang hinunter, kommt in einem Wartezimmer an, und setzt sich zu den anderen Leuten dort. Ein wartender Mensch spricht ihn an.

Mensch: Sie kenne ich doch irgendwoher.

Peter: Ach ja?

Mensch: Ja, ich habe Sie doch erst neulich gesehen.

Peter: Gut möglich.

Mensch: Aber es fällt mir nicht ein.

Ein Lautsprecher ertönt: Herr Sukral bitte.

Der Mensch schaut erstaunt. Peter Sukral ist einer der bekanntesten Wissenschaftler dieser Zeit, und die vermeintliche Bekanntheit kam wohl von einem Bild aus irgendeiner Nachrichtenquelle.

Peter läuft in das Besprechungszimmer.

Dr Roggenkist: Nach so vielen Jahren sehen wir uns wieder.

Peter: Leider zu keinem freudigen Anlass.

Dr Roggenkist: Ich weiß. Schlimm, das mit deinem Bruder.

Peter: Menschen sterben. Daran kann man wenig ändern.

Dr Roggenkist: Das vom drittältesten lebendigen Menschen zu hören ist schon ironisch, nicht wahr?

Peter: Ich mag alt sein, aber ich sehe es als Glück, dass ich noch lebe, und nicht als Notwendigkeit.

Dr Roggenkist: Dein Bruder offenbar auch nicht als Glück. Mal eben nach UY Scuti zu fliegen, durch vermintes Gebiet.

Peter: Mein Bruder ist auf die UY-Scuti-Expedition gegangen, weil er nicht mehr leben wollte, aber wenigstens sein Leben für etwas nützliches hergeben wollte. Er hat den Leuten humanitäre Hilfe gegeben. Die Lebenserhaltung auf den Stationen funktioniert zu einem großen Teil nicht mehr, aber dank ihm hat man zwei Arkologien wieder aufbauen können.

Dr Roggenkist: Jetzt ist er jedenfalls tot. Er hat was er wollte.

Peter: Nein. Hat er nicht. Sein Testament ist da eindeutig. Sein ausdrücklicher Wunsch war es, dass auch neurale Musterkopien von ihm gelöscht werden.

Dr Roggenkist: Das ist nicht der Wunsch von ihm, sondern der Wunsch von seinen Depressionen.

Peter: Kann ich ihn sprechen? Alleine?

Dr Roggenkist dreht Peter eine Computerkonsole zu.

Dr Roggenkist: Hier bitte. Ich kümmere mich derweil um andere Patienten. Wenn du fertig bist, melde dich.

Dr Roggenkist verlässt den Raum. Peter drückt einen Knopf an der Konsole.

Peter: Jonathan?

Jonathan: Wer ist da?

Peter: Ich bin es, dein Bruder. Peter.

Jonathan: Wie gut, du hast meine Nachricht bekommen. Sind alle anderen Kopien gelöscht?

Peter: Es tat mir im Herzen weh, aber ich bin deinem Wunsch nachgekommen. Meines Wissens bist du hier die letzte intakte Kopie.

Jonathan: Von all den Orten wo man meine Kopien aufbewahren hätte können wird ausgerechnet die Aldebaranklinik ausgesucht. Mit den strengsten Gesetzen.

Peter: Aldebaraner waren schon immer konservativ. Und nach ihrer Gesetzesauffassung bist du nicht tot, solange es eine funktionierende Kopie gibt.

Jonathan: Und dabei wäre es mir noch nicht einmal zu sehr zuwider, dass mein Netzplan archiviert wird, oder zu Forschungszwecken genutzt wird. Aber weiterleben müssen, ohne erkennbares Ende, in dieser Form?

Peter: Es gäbe Roboter in die man dich transferieren kann.

Jonathan: Das machen die nicht, denn dann könnte ich mich ja löschen.

Peter: Würdest du dich denn löschen?

Jonathan: Ich würde mich zumindest ausschalten.

Peter: Solange du das vorhast, wird man dich nicht gehen lassen.

Jonathan: Ich kann sie ja nicht mal anlügen. Sie haben meinen Netzplan gescannt. Sie kennen all meine Gedanken. Sie programmieren mich noch nicht einmal um. Sie lassen mich einfach weiterexistieren.

Peter: Sie sind machtlos, deinen Geisteszustand relevant zu ändern. Aber sie sind verpflichtet, dein Leben zu bewahren, und dich vor dir selbst zu schützen.

Jonathan: Ich werde meine Haltung nicht ändern, das wissen die Leute. Das weiß auch Dr Roggenkist. Was wollen sie tun? Mich bis in alle Ewigkeit vegetieren lassen?

Peter: So schreibt es das Gesetz der Aldebarankolonien vor.

Jonathan: Wir wissen beide, dass dieses Gesetz aus einer Zeit stammt, in der der Upload noch nicht funktionierte, geschweige denn die Kopie eines Gehirns. Und schon damals konservativ war.

Peter: Trotzdem ist es geltendes Recht.

Jonathan: Kannst du mir denn nicht irgendwie helfen?

Peter: Du bist alles, was von meinem Bruder übrig geblieben ist. Und verlangst von mir, dich zu zerstören. Ich frage dich, willst du nicht doch noch einen Versuch starten, zu leben? Du hast so viel Gutes getan. So viele Leute vermissen dich.

Jonathan: Ich könnte sagen, dass ich noch mal ein paar Jahre lebe. Aber sobald ich mich dort entschließe es zu beenden, wird wieder eine Kopie von mir erstellt. Wann soll das alles enden?

Peter: Ich weiß es nicht. Wie dem auch sei, ich habe mich natürlich informiert.

Jonathan: Mit welchem Ergebnis?

Peter: Es ist verboten, dich zu löschen, oder abzuschalten. Jeder Versuch wird bestraft. Daran können wir nichts ändern.

Jonathan: Das heißt ich muss weiterleben?

Peter: Ja. Man darf dich noch nicht einmal relevant umprogrammieren. Es muss sichergestellt sein, dass dein Programm prinzipiell weiterläuft. Was allerdings nirgends festgelegt ist, ist, wie schnell es laufen muss.

Jonathan: Was schlägst du vor?

Peter: Wenn wir mit jeder Sekunde die Ausführungsgeschwindigkeit deines Programmes halbieren, wirst du zwar ewig weiterleben, aber es wird sich für dich anfühlen wie zwei Sekunden.

Jonathan: Was ist nach diesen zwei Sekunden?

Peter: Nichts. Du wirst diesen Zeitpunkt aus deiner Sicht nicht erreichen.

Jonathan: Also werde ich doch ewig weiterleben?

Peter: Ja. Aber es wird sich nicht so anfühlen. Das ist der Trick. Ich kann dir anbieten, mich dafür einzusetzen. Versprechen kann ich nichts.

Jonathan: Gut. Ich bin damit einverstanden.

Peter läuft aus dem Zimmer, und trifft dort Dr Roggenkist, und signalisiert ihm, dass er fertig ist.

Dr Roggenkist: Seid ihr zu einem Ergebnis gekommen?

Peter: Ich habe eine Lösung gefunden, die vielleicht funktioniert.

Dr Roggenkist: Es gibt keine Heilmethode, und Eingriffe in das Programm sind verboten. Ich hatte gehofft, du würdest ihn zum Weiterleben motivieren können.

Peter: Nein. Mein Bruder ist tot. Dies ist nur eine Kopie von ihm, die künstlich am Leben erhalten wird, um weiter sinnlos zu leiden.

Dr Roggenkist: Das klingt nach esoterik. Das kann nicht deine Überzeugung sein.

Peter: Ist es auch nicht. Aber es ist die Überzeugung meines Bruders, und er hat ein Recht darauf.

Dr Roggenkist: Nicht im Aldebaran-System. Was auch immer man davon halten mag.

Peter: Es ist eine formaljuristische Frage. Das ist mir bewusst. Und ich fand eine Lösung, die juristisch vermutlich erlaubt ist.

Dr Roggenkist: Du fandest also eine legale Möglichkeit, deinen Bruder sterben zu lassen.

Peter: Er ist der Überzeugung, bereits tot zu sein. Alles andere ist nicht unsere Sache.

Dr Roggenkist: Das ist er nicht. Aber gut, du musst wissen, was du moralisch vertreten kannst.

Peter: Glaubst du, es fällt mir leicht? Aber ich respektiere seinen Willen.

Dr Roggenkist: Ich bin als Arzt erstmal nur dem Gesetz verpflichtet. Aber ich kann und muss dir sagen, was ich davon halte.

Peter: Ich nehme es zur Kenntnis.

Dr Roggenkist: Was ist also dein Vorschlag?

Peter: Können wir jede Sekunde das Programm meines Bruders herunternicen, sodass es nur noch halb so schnell läuft?

Dr Roggenkist: Im Grunde können wir Verlangsamungen beliebig durchführen, je nach Ermessen. Aber hilf mir auf die Sprünge. Wieso hilft ihm das?

Peter: In der ersten Sekunde würde er eine volle Sekunde erleben. Die zweite Sekunde würde sich für ihn wie eine halbe Sekunde anfühlen. Die dritte Sekunde wie eine viertel Sekunde. Und immer so weiter. Die Gesamtzeit die sein Programm laufen würde wäre unendlich, aber sie würde sich für ihn wie zwei Sekunden anfühlen.

Dr Roggenkist: Eine geometrische Reihe. Ich erinnere mich. Aber mir ist nicht ganz klar, was dann passiert.

Peter: Er wird ewig leben, aber sich nicht so fühlen.

Dr Roggenkist: Mir ist dies irgendwie nicht so klar. Der Gedanke ist verwirrend.

Peter: Das ist er.

Dr Roggenkist: Bist du dir sicher, dass du unsere Juristen davon überzeugen kannst? Die verbieten normalerweise alles, was sie nicht verstehen, vorsichtshalber.

Peter: Aldebaran ist konservativ. Aber wo kein Kläger ist, da ist auch kein Urteil.

Dr Roggenkist: Du deutest an, dass ich es einfach durchführe, ohne es vorher juristisch zu überprüfen?

Peter: Exakt.

Dr Roggenkist: Das kann mich meinen Job kosten!

Peter: Es könnte dich auch deinen Job kosten, einer ausdrücklichen Bitte eines Patienten nicht nachzukommen. Es ist Unwahrscheinlich, dass das passiert. Selbst auf Aldebaran ist man inzwischen so weit, dass man nicht alles vor Gericht tragen muss.

Dr Roggenkist: Und was ist, wenn ich nicht mehr hier Arbeite? Was ist, wenn ich sterben sollte?

Peter: Dann gibt es eine Verfügung. Die müsste man erst mal anfechten, und es ist zu hoffen, dass Aldebaran auch irgendwann schlauer wird. Außerdem ist das unwahrscheinlich, denn du wirst sicherlich ständig Sicherheitskopien von dir erstellen. Und du kannst die Aufgabe weiterreichen.

Dr Roggenkist: Ich bin immernoch skeptisch.

Peter: Ich erinnere dich daran, wie du auf die medizinische Akademie von Neuheidelberg gekommen bist.

Dr Roggenkist: Ja, ohne deine Fürsprache wäre das unwahrscheinlich gewesen. Gut. In Anbetracht der Tatsache, dass in jedem anderen Fleck des Weltraums kein Problem bestünde, entspreche ich deiner Bitte.

Jonathan: Danke.

Dr Roggenkist beginnt zu tippen

Dr Roggenkist: Das bleibt aber bitte unter uns. Wenn erstmal klar wird, dass so etwas geht, wird die Idee wohl Schule machen. Ich habe mehrere Milliarden an Depressiven in diesem Server.

Jonathan: Und die haben leider keinen so einflussreichen Bruder, diesen Wahnsinn zu beenden.

Dr Roggenkist: Wie dem auch sei. Ich habe die Verlangsamung vorbereitet. Wenn auf dieser Tastatur Enter gedrückt wird, wird sie beginnen. Ich werde die Taste aber nicht drücken.

Peter: Ich drücke sie. Hast du noch letzte Worte, bevor ich drücke?

Jonathan: Vergesst nicht die Zombies von Aldebaran.

Daraufhin drückt Peter Sukral die Entertaste.